Redemanuskript von Sven R. Dreyer zur Debatte um den Antrag der Rathauskoalition bzgl. der Förderung von Balkonkraftwerken

Kassel, 13. Juni 2023. Redemanuskript von Sven R. Dreyer zur Debatte um den Antrag der Rathauskoalition „Balkonkraftwerke“:


Sehr geehrte Frau Stadtverordneten-Vorsteherin,
sehr geehrte Kollegen der Stadtverordnetenversammlung,
sehr geehrte Zuhörer,

die Stadt Kassel fordert und fördert den massiven Ausbau von dezentralen Photovoltaik-Anlagen. Nicht nur von Balkon-Mini-Anlagen, sondern auch von PV-Anlagen auf Hausdächern und anderen Gebäuden.

Über 90% der hier in der Versammlung anwesenden Kollegen haben bezüglich der Frequenzstabilität von Stromnetzen leider nicht das Fachwissen, um selbst die Auswirkungen abzusehen, die der Betrieb einer großen Zahl von dezentralen Klein-Photovoltaik-Anlagen, nicht nur von Balkon-Mini-“Kraftwerken“, auf diese physikalische Grundlage von Drehstromnetzen hat.

Deshalb können Sie die aus Ihren Entscheidungen resultierenden Risiken auch nicht erkennen.

Unsere Stromnetze sind dafür konzipiert worden, dezentrale Stromverbraucher mit einem oder mehreren synchron laufenden Großgeneratoren zu versorgen. Diese Großgeneratoren stabilisieren aufgrund ihrer Konstruktion und den daraus resultierenden physikalischen Eigenschaften die Netz-Frequenz, die vielleicht einigen durch die Angabe 50 Hz auf Typenschildern bekannt ist.

Die 3-fach Sinusschwingung, die sie abbildet und die Wirkung auf die Stabilität der Stromspannung über die Kombination von Phasen und Null-Leiter in Stern- und Dreiecksschaltung dürfte nur wenigen Fachleuten hier bekannt sein.

Die physikalischen Stabilitätseigenschaften von Großgeneratoren fehlen Wechselrichtern von PV-Anlagen, die ihre Stromeinspeisung mit den Sinusschwingungen des Netzes elektronisch synchronisieren, meist ohne einen Beitrag zur Netzstabilität zu leisten. Schnelle Veränderungen am Gleichgewicht von Strom-Einspeisung und Strom-Entnahme durch Verbrauch erzeugen eine Verschiebung dieser Schwingungen, Phasenverschiebung genannt.

Ein hoher Anteil von Strom aus Großgeneratoren – zu denen neben Kohle-, Atom- und Gaskraftwerken auch große Windkraftanlagen zählen – liefert eine hohe Stabilität der Netzfrequenz, die meisten Wechselrichter von PV-Anlagen leisten dazu keinen Beitrag.

Als Folge muss ab einem bestimmten Kipp-Punkt die Netzstabilität mit großen elektronisch gesteuerten Stabilisierungs-Anlagen, basierend auf teuren Hochleistungskondensatoren, sichergestellt werden, um einen Stromausfall durch Sicherheitsabschaltung gegen Spannungsabweichungen zu verhindern.

Ohne eine Regelung zur Begrenzung des PV-Anteils auf einen Anteil sicher unterhalb dieses Kipp-Punktes, oder Auflagen für die Netzstabilisierungs-Eigenschaften von einspeisenden Wechselrichtern lehnen wir solche Anträge ab, die den Betreibern von PV-Anlagen hohe Profite bringen, noch erhöht durch Förderung mit Steuergeldern, die Folgekosten aber der Allgemeinheit der Stromkunden oder Steuerzahler aufbürdet.

Ein überwiegender Verbrauch des selbsterzeugten Stroms im eigenen Haushalt bei einer Balkon-PV-Anlage ohne Speichertechnik ist ein Werbe-Mythos zweifelhafter Seriosität.

Da fühlt man sich fast an die bunten Werbefilmchen der Atomenergie-Industrie in den 70-iger Jahren erinnert, in denen die günstige Atomenergie angepriesen, die Kosten für die Jahrtausendlange sichere Einlagerung der Abfälle aber verschwiegen wurde.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Erwiderung auf nachfolgende Redebeiträge (Gedächtnisprotokoll):

Im Gegensatz zu den meisten Anwesenden hier, habe ich mich während meines Ingenieurs-Studiums mehr als 150 Stunden in Fachlehrveranstaltungen mit Elektrotechnik, Elektrischen Netzen und Kraftwerks-Thermodynamik beschäftigen müssen.

Dieses Wissen kann ich Ihnen nicht einmal zu einem Bruchteil mit einem 3-Minuten-Redebeitrag vermitteln.

Bei einigen Beiträgen fühle ich mich an dunkelste Kapitel aus der Anfangszeit des Sozialismus erinnert, als man in der Sowjetunion auf die Ingenieure losging, sie würden mit den Grenzwert-Diskussionen die Erfüllung der 5-Jahres-Pläne gefährden und den Aufbau des Sozialismus behindern.

Wenn wir mit der Energiewende so weitermachen wie bisher und technische Gesetzmäßigkeiten ignorieren, dann wird die Energiewende hier in unserer Region mehr Existenzen vernichten und mehr Menschenleben kosten, als es die Erderwärmung allein bei uns je könnte.

Beschäftigen Sie sich endlich mit den Folgen Ihres Tuns.

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